Kameltreiber und Bilderwerfer: Experimen- telle Choreogra en und Video-Kunst in transkul- turellen Kontexten

Fahim Amir

Die Performance Atlas Revisited (2017) des bildenden Künstlers Karthik Pandian (US) und des Choreografen Andros Zins-Browne (US/BE) verhandelt ihren Versuch, Kamele zum Tanzen zu animieren. Sie ist der Ausgangspunkt dieses Beitrags, der sich Fragen und Problemen künstlerischer Repräsentation von politischem Widerstand in medialisierten, transkulturellen Kontexten widmet.

2012 waren die beiden Künstler Pandian und Zins-Browne nach Marokko gereist, um in den dortigen Atlas Studios neue Bilder des „arabischen Frühlings“ zu schaffen. Ziel war die Produktion eines Videos, das jenes Gefühl vermitteln sollte, das ihnen bei den global zirkulierenden Bildern arabischer Revolten zunehmend fehlte. Nachdem ihr ursprünglicher Plan einer partizipativen Re-Inszenierung der Ereignisse auf dem Tahrir-Platz aufgrund des Desinteresses lokaler Aktivist_innen gescheitert war, beschlossen sie stattdessen auf Kamele auszuweichen. Das Bild „postrevolutionärer Kamele“ – befreit vom Zwang, Lasten zu tragen, und frei zu jeder Art nicht-instrumenteller Bewegung – als Freiheitsfigur nahm Gestalt an: Die Künstler mieteten eine Gruppe Kamele, um sie in den Atlas Studios zum Tanzen experimenteller Choreographien zu bewegen. Die Kamele ließen sich aber weder mit guten Worten noch kulinarischen Belohnungsangeboten dazu verführen, an den abstrakten Tanzstücken teilzunehmen. Daraufhin griffen die Künstler auf einen alten Film-Trick zurück: Sie befestigten dünne Nylonschnüre an der Nase der Kamele und zogen sie daran durch das Aufnahmefeld der Kamera. Obwohl so die erwünschten Bewegungsabläufe bewerkstelligt werden konnten, machte sich bei den Künstlern ein neues Gefühl breit – Scham. Statt eines Freiheitsbildes hatten sie ein Bild der Unterdrückung geschaffen. Daraufhin wurde ein weiteres Video produziert, diesmal unter Einsatz moderner Animationstechnik mit wohlgenährten US-amerikanischen Kamelen in einer teuren Greenbox in New York. In Atlas Revisited blicken Pandian und Zins-Browne auf ihre Suche nach einem Freiheitsbild zurück, präsentieren die entstandenen Videos und befragen ihre Motive und künstlerischen Strategien. Fahim Amir nimmt in seinem Vortrag zu diesem Tanz über Freiheit die dabei involvierten Bilder politischer und ästhetischer Freiheit hinsichtlich der Transmissionsfigur des Tierlichen sowie damit verbundene transkulturelle Dimensionen in den Blick: Ist alltagskulturell das Stereotyp von Muslimen als „Kameltreiber“ verbreitet, so erscheinen in Atlas Revisited die avancierten (westlichen) Künstler auf einmal als solche. Dadurch wird in der Performance die Eigensinnigkeit von Menschen und Tieren als eine Form von Widerständigkeit gegenüber der Heteronomie euro- und anthropozentrischer Vorstellungen und Begehren inszeniert. Der künstlerische Perspektivwechsel zielt dabei auf spezifische Assoziationen von Menschen, Tieren und Lebensräumen innerhalb kolonialer Imaginationswelten, deren Nachhall auch heutige Debatten zu Migration und Globalisierung begleitet.

Fahim Amir
Philosoph mit künstlerischer und kuratorischer Praxis und Senior Lecturer am Institut für Bildende Kunst und Kulturwissenschaften der Kunstuniversität Linz. Seine Arbeit bewegt sich in den Grenzgebieten von NatureCultures und kolonialer Historizität, transkultureller Handlungsmacht und Urbanismus. Er ist Mitherausgeber von Transcultural Modernisms (Sternberg Press, 2013) und verfasste zuletzt das Nachwort zur deutschen Ausgabe von Donna Haraways The Companion Species Manifesto (Das Manifest für Gefährten. Wenn Spezies sich begegnen, Merve, 2016). Demnächst erscheint von ihm Schwein und Zeit: Tiere, Politik und Verbrechen (Nautilus, 2018).