Mäzenatentum und Identitätsfindung im Fin de Siècle – Die Gemäldesammlung von Moriz und Hermine Gallia
Seit den 1980er Jahren wird mit dem Epochenbegriff der „Wiener Moderne“ Wien um 1900 als programmatischer Ort einer künstlerischen und auch ökonomischen Hochblüte assoziiert, die sich auch in einer verstärkten Sammlungstätigkeit und dem Mäzenatentum privater, zumeist jüdisch-assimilierter Großbürger äußerte. So betont auch Sarah Fraiman-Morris in ihrem Vorwort zu „Jüdische Aspekte Jung-Wiens im Kulturkontext des Fin de Siècle“ den großen Anteil jüdischer Kulturträger, der zum einen durch den Bildungsenthusiasmus der zweiten Generation, zum anderen durch die ökonomische, wirtschaftliche Präsenz begründet werden kann. In diesem Kontext entstanden in Wien bedeutende Kunstsammlungen des jüdisch-assimilierten Großbürgertums. Auch das Ehepaar Moriz (1858-1918) und Hermine Gallia (1870-1936), deren Sammlung bis dato noch keine Aufarbeitung erfuhr, zählte zu jenem Kreis des ambitionierten Mäzenatentums der Wiener Moderne. Erst im Rahmen meiner Provenienzforschung zur Familie Gallia von 2015 bis 2017 verstärkte sich die These, dass ihre Biografie, wie die vieler anderer jüdisch-assimilierter Mäzene, von der Suche nach der eigenen Identität geprägt war. Im Zwiespalt zwischen Religion, Kultur und einer entgegengesetzten konservativ-katholischen Entwicklung innerhalb der Habsburgermonarchie brachte der Assimilationsprozess Identitätsfragen bei den Gallias mit sich, die sich in ihrer Sammlungsprogrammatik ebenso visualisierten. Die Sammlung der Gallias, die beispielsweise Klimts Buchenwald II oder dessen Porträt der Hausherrin Hermine Gallia beinhaltete, umfasste zahlreiche Werke der Sezessionisten, die im entsprechenden von Josef Hoffmann und der Wiener Werkstätte ausgestatteten Rahmen in der Beletage ihres Wohnhauses in der Wohllebengasse 4, 1040 Wien, als Gesamtkunstwerk präsentiert wurden. Im Vortrag soll demnach der Versuch unternommen werden, die zwischen 1889 bis 1913 von den Gallias gesammelten Gemälde formal und inhaltlich im Hinblick auf ihre Stellung zwischen Religion, Assimilation und Identitätsfindung zu untersuchen und zu verdeutlichen, inwieweit speziell jüdisch-assimilierte Kunstsammlungen im Fin de Siècle Identitätsfragen zum Ausdruck bringen können.
Marietta Sophie Knogler studierte Rechtswissenschaften und Kunstgeschichte an der Universität Wien. Seit 2014 MA-Studium Kunstgeschichte Universität Wien. Sie arbeitet zu Kunstsammlungen des jüdischen Bürgertums im Wiener Fin de Siècle und betrieb in diesem Rahmen von 2015 bis 2017 Provenienzforschung zur Mäzenaten- und Sammlerfamilie Gallia in Wien.