Die Zeichen vor dem Ende. Vom Listeneintrag zum dramatischen Agens
Kein Ende ohne Vorzeichen. Das gilt bis heute. In der Kultur der teleologischen Religionen (Judentum, Christentum, Islam) steht nicht nur das Ende fest, sondern auch die Vorzeichen sind vorgeschrieben. Die Kunst muss ihren Katalog gewissermaßen nur abarbeiten. In der sich verzeitlichenden Neuzeit wächst das Interesse am plötzlich eintretenden Vorzeichen. Sein unerwartetes Vorkommen erzeugt einer Wirkung, welche die Wirkung der im Zeichen angekündigten Katastrophe vorwegnimmt. Hier bewährt sich die Kunst der Rhetorik und der Affekte. In der Moderne schließlich, welche alle Teleologie aufgegeben hat und mit unbeschreiblichen Enden aufwartet, kann beides, Vorzeichen und Ende, nur im offenen Modus der Erwartung vorgespiegelt werden. Hier ist die Kunst der Unbestimmtheits- und Leerstellen gefordert.
Wolfgang Kemp
Geboren 1946, nach dem Studium der Kunstgeschichte, Philosophie und Germanistik Promotion 1970, Habilitation 1979. Assistent an der Universität Bonn bis 1974, Professor an der Gesamthochschule Kassel bis 1983, Universität Marburg bis 1995, seitdem Universität Hamburg. Gastprofessuren u.a. Harvard, UCLA, Fellow Wissenschaftskolleg Berlin, Getty Research Center Los Angeles. Veröffentlichungen zur Geschichte und Theorie der Fotografie, zur Rezeptionsästhetik und Erzählforschung. Universität Hamburg bis zur Emeritierung 2011.