Die entsetzliche Schönheit der Atombombe – Das apokalyptische Bild der nuklearen Explosion in Pier Paolo Pasolinis Filmpoem La Rabbia (1963)

Regine Prange

In der ‚postsäkularen‘ Gegenwart, die künstlerisch zugleich von einem neuen Realismus dominiert wird, verdient Pasolinis politisches Kino besondere Aufmerksamkeit, denn dieses artikulierte den antikapitalistischen Protest und die Hoffnung auf eine proletarische Revolution durch eine dokumentarische Ästhetik, in die religiöse Chiffren der endzeitlichen Verdammnis und der Erlösung eingebunden werden. Eine Verknüpfung von dokumentarischem Realismus und sakraler Metaphorik liefert exemplarisch das apokalyptische Bild der Atomwolke, das Pasolinis ‚La rabbia‘, einen aus Wochenschaumaterial kompilierten Film, rahmt und gliedert. Die nach Hiroshima und Nagasaki unausweichlich nur mit Entsetzen wahrnehmbare Schönheit der pilzförmig sich ausbreitenden, Lichtscheiben ausbildenden und alles überstrahlenden Atomwolke versinnbildlicht den angeklagten Imperialismus der westlichen Industrieländer und die sirenenhafte Verführungsmacht ihrer Luxuswaren. Der Vortrag analysiert Pasolinis Umgang mit dieser Metapher im Kontext seiner vielfachen Zitierung christlicher Ikonografie. So wird Marilyn Monroe, deren Suizid der Filmproduktion vorausgeht, mit der Gestalt des Schmerzensmannes assoziiert. Auch ihre Schönheit ist eine entsetzliche, durch die Kultur des Spektakels ihrer Unschuld beraubte. Pasolini überhöht sie zur Märtyrerin, die sich für den Tod und somit gegen den Konformismus der Selbsterhaltung entschieden habe.

Regine Prange
1991 Promotion an der FU Berlin; 1992-1998 wiss. Assistenz am Kunstgeschichtlichen Institut der Eberhard-Karls-Universität Tübingen, dort 1998 Habilitation. Nach Gastprofessuren an der Humboldt-Universität zu Berlin und an der Wolfgang-Goethe Universität Frankfurt a.M. 1999 Professur für Kunstgeschichte an der Philipps-Universität Marburg; seit 2001 Lehrstuhl für Neuere und Neueste Kunstgeschichte, Kunst- und Medientheorie an der Wolfgang-Goethe Universität Frankfurt a.M.. Arbeitsfelder: Theorie und Geschichte der modernen Malerei, Methodik des Faches Kunstgeschichte, Utopien und Theorien der Avantgarden sowie Ästhetik des Kinofilms (Godard, Bunuel, Warhol, Pasolini).