Christliche Ikonografie in iranischer Fotografie: Szenen aus der Passion Christi in Werken von Azadeh Akhlaghi und Siamak Filizadeh
Paradoxerweise löst es in Europa oftmals Erstaunen aus, wenn sich iranische Künstler/innen Sujets der europäischen Kunstgeschichte aneignen. Iraner/innen würden diese nicht kennen, heißt es oft, und könnten daher nur auf „ihr“ lokales Motivrepertoire referieren. Im digitalen Zeitalter mit flächendeckendem Internet- und somit Informationszugang ist diese Behauptung eine Manifestation der Kritik Edward Saids in Orientalism (1978), da so nicht nur ein unwissendes iranisches „Other“ kreiert wird, sondern diesem auch noch unterstellt wird, nichts über den europäischen Kanon der Kunstgeschichte zu wissen, während dies von europäischen Kunstschaffenden („Self“) erwartet wird. Dass iranische Künstler/innen Motive der christlich-geprägten Kunstgeschichte zitieren, demonstriere ich anhand von zwei Beispielen zeitgenössischer Fotografie und fokussiere mich dabei auf Szenen aus der Passion Christi. Azadeh Akhlaghi (*1978) re-inszeniert in ihrer Serie By an Eye Witness (2009-2012) siebzehn Tode iranischer Freiheitskämpfer des zwanzigsten Jahrhunderts. Siamak Filizadeh (*1970) erzählt in Underground (2014) das Leben und den Tod von Naser al-Din Shah (1831-1896). Beide konfrontieren die Betrachter/innen mit tragischen Todesdarstellungen und Sterbeszenen, in denen sie ikonografisch auf die Sujets Jesus am Kreuz, Pietá und Grablegung referieren. Hierbei ist zu erwähnen, dass aufgrund des Kerbala-Mythos ein iranisch-schiitisches Märtyrernarrativ mit ausgeprägter Bildtradition vorhanden ist, zu der Akhlaghi und Filizadeh aber keine Bezüge setzen. Ausgehend von gängigen Darstellungstypen der erwähnten Motive in der europäischen Kunstgeschichte wird deren visuelle Umsetzung in Akhlaghis und Filizadehs Arbeiten analysiert und verglichen. Im nächsten Schritt interpretiere ich mithilfe der Verwendung von Sekundärliteratur und Künstler/inneninterviews die Selektion der Zitate und deren Adaptionen in den Fotografien und versuche diese unter Bezugnahme auf die heutige Situation in Iran zu deuten. Akhlaghi und Filizadeh thematisieren mit ihren Aneignungen von Sujets der Passionsgeschichte Jesu nicht das Christentum als Religion, sondern den universalen Aspekt des Märtyrertums im Rahmen einer Heilsgeschichte. Daher können auch die Protagonist/innen ihrer Fotografien als Märtyrer/innen interpretiert werden, die – wie Christi für die weitere Religionsentwicklung – für die weitere Geschichte Irans sterben mussten. Konkrete Iranbezüge werden durch Veränderungen des angeeigneten Bildtypus hergestellt. Dies geschieht jedoch nur in solchem Ausmaß, dass das Zitat klar erkenntlich bleibt. Weiters kann die Wahl der Referenz auf die christliche und nicht auf die schiitische Passionsgeschichte als Subversion gegen die offizielle religiöse Narrative der Islamischen Republik und die damit verbundene Omnipräsenz schiitischer Märtyrer im öffentlichen Raum verstanden werden.
Agnes Rameder hat in Wien Kunstgeschichte studiert. Für ihre Masterarbeit mit dem Titel Azadeh Akhlaghi's Photograph Series By an Eye Witness in the Context of Staged Photography in Tehran/Iran hat sie umfangreiche Feldforschung in Teheran betrieben. Ab/Seit September 2017 Doktorratsstudium an der Katholischen Privat-Universität Linz.