Frieden oder Krieg? – „Die Aktion“, die Religion und der Erste Weltkrieg
Zu Beginn des Ersten Weltkriegs wird in Deutschland die Militärzensur verhängt und ersetzt die vorherrschende Pressefreiheit. Das politisch engagierte und kriegsfeindliche Magazin Die Aktion, herausgegeben von Franz Pfempfert, entgeht dieser Zensur, indem es sich bewusst jeglichem direkten politischen Kommentar enthält und seinen inhaltlichen Schwerpunkt auf Kunst- und Literaturbeiträge beschränkt. Um seinem menschlichen und politischen Missmut Ausdruck zu verleihen, nutzt Pfempfert Kunst und Literatur jedoch geschickt, um Inhalte zu vermitteln. Besonders die christlich- religiöse Bildsprache dient dazu, dem perfiden Kriegsgeschehen Werte wie Nächstenliebe, Leiden, Trauer und Mitgefühl entgegenzustellen. Vor allem in seinen Weinachts- und Osterheften bedient sich Pfempfert ausdrücklich der christlichen Ikonografie. Religiöse Bilder kommen jedoch auch in weiteren Teilen des Heftes vor. Auch von Kriegsbefürwortern werden christliche Sinnbilder während des ersten Weltkrieges massiv genutzt, um die Gesamtbevölkerung anzusprechen. In der Aktion ist dies in Pfempferts Rubrik 'Ich schneide die Zeit aus' zu beobachten. In dieser Ansammlung von Zeitungsauschnitten, die Pfempfert kommentarlos abdrucken lässt und somit den Grundton der damaligen Zeit einfangen möchte, versucht er diesen in all seiner Aggressivität, Absurdität und Perfidität zu geißeln. Aussagen des Klerus, die das patriotische und gewaltbereite Kriegsgeschehen den christlichen Werten zuordnen wollen um somit den gottesfürchtigen Deutschen eine Legitimierung zur Kriegsbefürwortung zu liefern, sind hier immer wieder zu lesen. Pfempfert versucht diese Aussagen bloßzustellen und spricht somit auch die Frage der Instrumentalisierung religiöser Motive eines Kollektivverstandes an. Während die Kriegsbefürworter Parallelen zwischen dem Schicksal Jesu und dem Schicksal des deutschen Volkes als Opfer eines ungerechten Krieges ziehen, zieht Pfempfert Parallelen zwischen den christlichen Grundwerten und den pazifistischen Werten eines internationalistischen Kriegsgegners. Beide Seiten instrumentalisieren die christliche Religion indem sie sich an biblischen Erzählungen und Bildern als Rechtfertigungen ihrer politischen Ziele bedienen. Dieser Beitrag untersucht, wie Pfempfert einerseits diese Instrumentalisierung auf seine sehr passive Art und Weise kritisiert, sie andererseits aber selbst beständig anwendet. Der Text erforscht, wie das religiöse Bild zu einem Politikum zwischen Kriegsbefürwortern und Kriegsgegnern werden kann, und wie es durch seine symbolisch sinnträchtige Sprache Inhalte transportieren kann, die in einer anderen Form wahrscheinlich der Zensur erlegen wären.
Laura Kollwelter, geb. 1987. 2007–2012 Studium der Kunstgeschichte an der Université Libre de Bruxelles. Derzeit wissenschaftliche Assistentin in den Königlichen Museen der Schönen Künste in Brüssel, mitverantwortlich für das Projekt 14/18 Rupture or Continuity? Belgian Art around World War I. Forschungsschwerpunkt: Kulturtransfere und Rezeptionsgeschichte insbesondere im deutsch-belgischen Kontext; Publikationen und Vorträge: Jacob De Graaff, patron to Belgian modern artists in Great Britain, Ein Spiel in drei Akten – Entwicklungsstufen der Zeitschriften Der Sturm und Die Aktion am Beispiel belgischer Kunstbeiträge, Le Bauhaus et la Belgique, L’avant-garde belge et la revue berlinoise Der Sturm.