Theologische Konstruktionen der Malerei um 1800. Friedrich Overbeck und Philipp Otto Runge
Für das Verständnis der Epochenschwelle um 1800 spielt das Verhältnis zwischen Kunst und Religion eine zentrale Rolle. Einerseits wird der Kunst eine Emanzipation gegenüber den verbürgten Formen des Religiösen in Europa unterstellt, andererseits aber auch Ambitionen, selbst mehr und mehr in die Funktionen der Religion einzutreten. Zumal angesichts der durch Säkularisierungsprozesse stark der Erosion ausgesetzten Formen und Heilsverheißungen des überlieferten Christentums emanzipiert sich die Kunst selbst zur bedeutungsgeladenen und sinnstiftenden religiösen Instanz. Es sind diese Ambitionen der Kunst, sich als Religion eigener Art zu verstehen, die gewöhnlich unter dem Begriff der Kunstreligion verhandelt werden: Die Kunst als Ersatzreligion bzw. als Religionsersatz. In diesem Sinne hat die Kunstreligion in den letzten Jahren als Forschungsthema wieder vermehrte Aufmerksamkeit gefunden. Dieser Begriff der Kunstreligion scheint mir der Revision bedürftig. Denn neben den diversen Formulierungen des Religionsersatzes finden sich prominente Positionen, in denen die Kunst – umgekehrt – auf Traditionen der christlichen Religion zurückgeführt wird: Die künstlerische Selbstvergewisserung stützt sich auf theologische Argumente – und dies gilt nicht allein für die Lukasbrüder, die erst neuerdings aus dem Schatten hervorgeholt werden, in den sie wegen ihres vermeintlich reaktionären Christentums lange gestellt wurden. Auch etwa Philipp Otto Runge sucht für seine neue Kunst nach einer theologischen Grundlegung, die jüdisch-christlichen Denktraditionen verpflichtet ist. Während Friedrich Overbeck ein Konzept von Religion in das Zentrum seiner Kunst stellt, entwickelt Runge eine Grundlegung der Kunst aus der Schöpfungstheologie und zwar interessanterweise unter dezidierter Umgehung eines Vergleichs zwischen Schöpfergott und Künstler. Mein Vortrag gibt Stichproben aus einem Forschungsprojekt, das der Reformulierung des Begriffs der Kunstreligion als einem Tableau vielfältiger Wechselbeziehungen zwischen Kunst und Religion im 19./20. Jahrhundert gewidmet ist.
Reinhard Hoeps, geb. 1954. 1974–1980 Studium der katholischen Theologie, Philosophie und Kunstgeschichte in Bonn und Bochum. Promotion 1983, Habilitation 1988. 1983–1993 wissenschaftlicher Mitarbeiter, dann Oberassistent an der Universität zu Köln. Seit 1993 Professor für Systematische Theologie und ihre Didaktik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster. Dort seit 1998 Leiter der Arbeitsstelle für christliche Bildtheorie, theologische Ästhetik und Bilddidaktik. Herausgeber des Handbuchs der Bildtheologie (seit 2007).